Wettbewerb "RathausQuartier"

Anerkennung - Stadt+haus Wismar

in Zusammenarbeit mit Landschaftsarchitekt: hannes hamann landschaftsarchitekten, Rostock

Erläuterungsbericht

Hochbaulicher und Freiraumplanerischer Realisierungswettbewerb „RATHAUSQUARTIER“ im Ostseebad Kühlungsborn

STÄDTEBAU

Die Lagegunst des bestehenden, denkmalgeschützten baulichen Ensembles an der Ostseeallee an diesem besonderen Ort zwischen Ostsee und Stadtwald wird als Chance gesehen, durch behutsame Eingriffe einen Ort zu schaffen, der zum einen Rechnung für einen zukunftsfähigen Verwaltungsstandort trägt und zum anderen eine besucherfreundliche, zeitgemäße Umgebung kreiert. Dabei werden zwei gleich dimensionierte zurückhaltende Baukörper in zweiter Reihe derart zueinander komponiert, dass sie den Freiraum hindurchfließen lassen und gleichzeitig den Raum fassen und eine gemeinsame Mitte formen. Der bestehende Bebauungsplan wird in seinen Baugrenzen respektiert und in weiten Teilen eingehalten. Der Verwaltungsneubau wir innerhalb der Baugrenzen errichtet und nimmt in seinen Außenkanten die östliche Bauflucht von Haus Laetitia auf und lässt Raum zur Grundstücksgrenze der KITA. Die Bauhöhe von Haus Laetitia wird unterschritten. Der Neubau für Bibliothek und Ratssaal nimmt die Baufluchten von Haus Rolle auf und schiebt sich im Obergeschoss Richtung Westen, erhöht damit die Sichtbarkeit von der Ostseeallee, erzeugt Neugier und lässt Besucher selbstverständlich zu den Hauptzugängen und der neuen Mitte leiten. Die Traufkante von Haus Rolle wird aufgenommen und in keinen Punkten überbaut.

Die Sichtbeziehungen und darüber hinaus auch echte Wegebeziehungen zwischen Ostseeallee und Stadtwald zwischen den perlenkettenartig aufgereihten bestehenden Solitärbauten werden nicht nur erhalten, sondern forciert und genutzt, um das neue Quartier zu beleben.

Das neue Rathausquartier gibt eine zukunftsfähige Antwort auf die Integration der geforderten Baumasse in das kleinmaßstäbliche heterogene Ensemble, den denkmalgerechten Umgang mit den Bestandsbauten an der Ostseeallee, den behutsamen Nachweis von an diesem Standort überproportional vielen Stellplätzen, der Errichtung eines funktionalen und zeitgemäßen Verwaltungsstandortes und der Schaffung eines freundlichen Zentrums und eines Kulturquartiers für Bürger und Gäste des Ostseebades mit hoher Aufenthaltsqualität.

 

FREIRAUM

Einst wurde in den Küstenwald zwischen Ahrendsee und Brunshaupten eine Schneise geschlagen, um den Küstenstreifen als Bauland für die repräsentative Bädervillen zu erschließen. Heute reiht sich entlang der dort verlaufenden Ostseeallee ein einmaliges Ensemble aus unterschiedlichen Baustilen. Der Küstenwald wurde von nun an in zwei Hälften zerschnitten: in den in der Ortsmitte liegenden Stadtwald und in den schmale parkähnliche Waldstreifen zwischen Strandpromenade und Ostseeallee. Die beiden Waldflächen sollen durch das Konzept wieder miteinander in Beziehung gesetzt werden. Baumgruppen aus Bestandsbäumen und Neupflanzungen bilden zwischen den Solitärbauten lockere Baumreihen und schlagen dadurch ihrerseits auf behutsame Weise „grüne“ Schneisen in die bebauten Flächen. Axiale Wege aus Ortbetonbelag verlaufen durch diese Baumschneisen, knüpfen an das bestehende Wegenetz als Wassergebundene Wegedecke an und schaffen neue Verbindungen zwischen Küste und Wald, Ostseeallee und Kühlungsborn Ost. Die Baumschneisen leiten in das neue Rathausquartier, gliedern den Raum und stärken die Blickbeziehungen zwischen Wald und Ostseeallee.

Die markanten Gebäude an der Ostseeallee stehen frei und bilden gerade durch ihre Verschiedenheit ein eindrucksvolles Ensemble. Die schlichten Neubauten in der zweiten Reihe fügen sich zurückhaltend und harmonisch in den Bestand ein und vollenden das Rathausquartier. Der Freiraum verbindet die Solitärbauten und setzt diese miteinander in Beziehung.

Einheitliche Platz- und Wegeflächen bilden einen Teppich, auf dem die Solitärbauten ruhen. Großformatige Betonplatten (ca. 1,2 x 1,2 m) bilden als zeitloses, verbindendes Element, dessen Grundgeflecht. Durch die flexible Anordnung entstehen Nischen und Teilräume, die sich multifunktional bespielen lassen, so z.B. als Ort für Kunst im Außenraum oder als Außenterrasse eines Cafés. Platz- und Wegeflächen schaffen zahlreiche Querverbindungen und bieten darüber hinaus ausreichend Raum für Anlieferung und Feuerwehr.

Entlang der Baumschneisen und in den Lücken des Belagsteppichs erstrecken sich pflegearme, langlebige und attraktive Pflanzflächen, die sich aus heimischen, standortgerechten Stauden und Gräsern zusammensetzen, die typisch für die Wälder, Wiesen und Küsten der Umgebung sind (u.a. Reitgräser, Binsen, Heidekräuter, Farne, Zwergsträucher). Sitzmauern aus Ortbeton fangen die erhöhten Pflanzflächen auf der Tiefgarage ab oder begrenzen die Versickerungsmulden außerhalb der unterbauten Bereiche. Somit wechseln sich feuchte und trockene Standorte ab und zeigen die Fülle der heimischen Flora. Die erhöhten Pflanzflächen vergrößern das für Kleinbäume und Großsträucher zur Verfügung stehende Substrat, um ein optimales Wachstum auf der Tiefgarage ohne künstliche Bewässerung zu ermöglichen. Der wertvolle Baumbestand an der Ostseeallee aus Buchen und Ahornen bleibt vollständig erhalten und wird außerhalb der unterbauten Flächen durch großkronige, heimische Eichen, Kiefern und Ahorne ergänzt. Auf der Tiefgarage werden hingegen Großsträucher und Kleinbäume, wie z.B. Hainbuche, Feldahorn und heimische Traubenkirsche, gepflanzt. Einzelne mehrstämmige Exemplare fügen sich verspielt in die lockeren Baumschneisen ein.

In den Vorgärten werden keine Baumpflanzungen vorgenommen, stattdessen bleiben die offenen Rasenflächen und die Pflanzrabatten erhalten, um die Gebäude in Szene zu setzen und die einheitliche Gestaltung der Vorgärten in der Ostseeallee nicht zu unterbrechen.

Auf der Rückseite des Verwaltungsneubaus erstreckt sich eine großzügige lichtungsartige Wiesen- und Terrassenfläche, die als Ruhepol, aber auch als multifunktionale Fläche für Feste, Ausstellungen und Konferenzen dient.

Die oberirdischen PKW-Stellplätze befinden sich größtenteils im östlichen Grundstücksbereich. Die Stellplätze liegen entlang der Zufahrt und auf der Tiefgarage, eingebettet in die umgebenden Gehölzflächen. Insgesamt gibt es 47 oberirdische Parkplätze; weitere 69 befinden sich in der Tiefgarage. Das unterirdische Angebot an Stellplätzen kann um bis zu 24 weitere Stellplätze erweitert werden. Derart könnte der Anteil der oberirdischen Stellplätze weiter reduziert werden. Hier muss eine Balance zwischen nahezu autofreiem Charakter und Wirtschaftlichkeit gefunden werden.

Das Stellplatzangebot wird durch Fahrradbügel ergänzt. 22 Fahrradstellplätze sind dezentral an den Eingängen der Neubauten und des Rathauses platziert, können bei Bedarf jedoch flexibel erweitert werden.

Bänke aus witterungsbeständigem Holz bietet neben dem informellen Verweilen auf den Sitzmauern, altersgerechtes Sitzen mit Rücken- und Armlehnen. Alle verwendeten Materialien und Ausstattungsgegenstände zeichnen sich durch ihre Langlebigkeit und Robustheit aus. Der Außenraum wird dezent und Insekten schonend nur an den zentralen Zuwegen ausgeleuchtet, ohne von den Bestandsgebäude abzulenken.

Die Außenraumgestaltung trägt entscheidend zur Entstehung eines richtungsweisenden neuen Rathausquartiers bei. Die Schneisen schaffen überörtliche Verbindungen und die großzügigen und multifunktionalen Platzflächen diversifizieren den Außenraum bei gleichzeitigem einheitlichem Gestaltungsbild mit Wiedererkennungswert.

 

ARCHITEKTUR

Rathaus

Der Denkmalbestand wird in seiner äußeren Erscheinung lediglich durch eine weitere Freitreppe an der Ostseite angetastet. Der zu erstellende 2. Rettungsweg und der Aufzug werden in den Bestand integriert. Der barrierefreie Zugang erfolgt von Süden und durch den Aufzug können alle Ebenen barrierefrei erreicht werden. Das neue Untergeschoss liegt unter dem Souterrain südlich des Rathauses und ermöglicht ggf. auch eine bauliche unterirdische Verbindung zwischen Rathaus und Verwaltungsneubau. Die Verfasser sehen diese Option als verzichtbar an. Der Entwurf schlägt vor, die durch den Einbau des Treppenhauses wegfallenden Büros werden im Bestand mit den Bereichen des Bürgermeisters getauscht und neu sortiert, um sämtliche Bürgeramtsbüros zusammen im Bestand zu belassen. Der Bürgermeister mit Sekretariat und Pressestelle (4 Büros) ziehen in das Erdgeschoss des Neubaus.

Verwaltungsneubau

Hier entsteht auf wirtschaftlichem Grundriss ein zeitgemäßes Verwaltungsgebäude für Bürgermeister, Bau- und Hauptamt. Der Hauptzugang orientiert sich zur neuen Mitte und kommuniziert in seiner Ausrichtung und gestalterischer Erscheinung mit dem Bibliotheks- und Ratsaalneubau.

Haus Rolle und Bibliotheksneubau

Haus Rolle wird denkmalgerecht saniert. Dabei bleibt die äußere Erscheinung unangetastet. Die Innendämmung und die neuen Fenster, hier mit Erhalt bauzeitlicher äußerer Fenster und neuer innerer Klimaebene, verbessern die Energiebilanz des Gebäudes. Hier ist genau im Detail zu prüfen, wie mit den Wandvertäfelungen und Inneneinbauten umgegangen wird und so wenig Eingriff wie möglich aber so viel wie nötig angewandt wird. Geborgene Bauteile werden wieder eingebaut. Der hintere Zugang wird erhalten. Der eingeschossige Anbau wird entfernt und die Originalsubstanz wieder hergestellt. Im Dachgeschoss werden keine Aufenthaltsbereiche entstehen und kann ggf. als Lagerfläche genutzt werden.

Der Neubau der Bibliothek und Ratssaal erschaffen einen eigenständigen Baukörper, der aber baulich mit Haus Rolle verbunden wird. Über lediglich einen schmalen Verbinder wird an den Flurbereich vom Bestand angebunden. Die Höhenunterschiede werden durch den Aufzug und das Treppenhaus im Neubau ausgeglichen. Derart ist auch das Haus Rolle in den Obergeschossen barrierefrei erschlossen.

Die Bibliothek wird über zwei Ebenen entwickelt. Die große Deckenöffnung und das Oberlicht nach Süden schaffen einen lichtdurchfluteten zeitgemäßen Bibliotheksraum mit Kino, Café und Leseecken.

Der Ratssaal wird im Obergeschoss teilbar geplant. Ein Austritt nach Westen ermöglicht bei Veranstaltungen Blick auf die neue Mitte des Rathausquartiers und zur Ostsee.

Untergeschoss

Im neuen Rathausquartier werden unter Beachtung wirtschaftlicher Aspekte möglichst viele Stellplätze unterirdisch abgebildet. Hier wird vorgeschlagen, 69 Stellplätze (inkl. E-Ladestationen) in einer Tiefgarage mit einer Erweiterungsoption um weitere 24 Stellplätze unterzubringen. Der Aus- und Zugang zu den Stellplätzen wird durch einen Pavillon abgedeckt, der in den Freiraum integriert ist. Im Waldabstandsstreifen sind derartige Einbauten in der vorgeschlagenen Nutzung und Bauart zulässig. Das Unterschoss nimmt weiterhin die untere Bibliotheksebene und sämtliche Lager- und Technikflächen auf. Der TFK-Lagerraum zum Beispiel wird über die TG erschlossen und kann direkt angeliefert werden. Die Möglichkeit das Untergeschoss an den Bestandsbau des Rathauses anzubinden ist ohne weiteres möglich, falls dies funktionale Vorteile bringt.

 

KONSTRUKTION + MATERIALIEN

Im vorherrschenden Küstenklima werden die Neubauten in konventioneller Massivbauweise mit Mauerwerkswänden aus Porenbetonplansteinen und Stahlbeton-Flachdecken auf wirtschaftlichen Spannweiten geplant. Tragende Bauteile sind die massiven Außenwände und tragende Wandscheiben. Die Erschließungskerne und Schächte steifen das Konstruktionssystem aus. Die Gründung wird durch Flächengründungen auf Pfählen abgesichert. Hier sind genauere Überprüfungen und Berechnungen notwendig. Die Fassaden werden mit einem ausreichend starken Kratzputz versehen, dessen helle Farbgebung die Neubauten wie selbstverständlich in das Ensemble der Bestandsbauten einbindet. Insgesamt ordnen sich die schlichten Fassaden der Neubauten den Bestandsdenkmalen unter, geben trotzdem dem neuen Rathausquartier in ihrem eigenständigen Duktus ein selbstbewusstes Gesicht.

Materialien im Innenraum werden unter der Prämisse Langlebigkeit und Funktionalität eingesetzt. Robuste, werthaltige Bodenbeläge und Anschlüsse in Verbindung mit neutral gehaltenen Wandflächen, mit farblichen Akzentuierungen kombiniert, prägen die Innenräume der Neubaukörper.

 

ENERGIE + NACHHALTIGKEIT

Das neue Rathausquartier wird in seiner Gesamtheit betrachtet und ein Konzept vorgeschlagen, welches durch die Einrichtung eines Nahwärmenetzes alle Gebäude versorgt. Die im Moment nicht anliegende Fernwärme könnte bei Ausbau dieser in Verbindung der bestehenden Netze in den Ortsteilen Ost und West ebenfalls ein wichtiger Baustein sein, um ein ganzheitliches Konzept zu entwickeln. Aufbauend auf modular zusammengesetzten Bausteinen unterschiedlicher Energieträger, wie etwa einem Mix aus regenerativ erzeugten Energiequellen und eines zu errichtenden Nahwärmenetzes werden Versorgungsunterschiede ausgeglichen und eine durchgehende Versorgung sichergestellt. Die Lagegunst des Standortes lässt die Nutzung von Geothermie als vernünftig erscheinen. Die Einrichtung eines Grundwasserzirkulationsbrunnens oder Flächen- und Tiefbohrungslösungen sind gegeneinander abzuwägen. Eine genauere Wirtschaftlichkeitsbetrachtung ist zu erstellen. Auf die Nutzung von Photovoltaikflächen auf den Dächern der Neubauten sind aus jetziger Sicht auf Grund der Aspekte der Denkmalpflege und der begrenzten Fläche untergeordnet. Die Speisung eines Blockheizkraftwerkes im Untergeschoss mit fossilen Brennstoffen ist zu prüfen und unter Nachhaltigkeitsaspekten und Versorgungssicherheit abzuwägen.

Die Außenhüllen sämtlicher Neubauten werden hochwärmegedämmt ausgeführt. Der angemessene Anteil an Fensteröffnungen und außenliegender motorisierter Sonnenschutz verhindern eine sommerliche Überhitzung der Gebäude. Die Beheizung erfolgt über flächige Lösungen mit niedrigen Vorlauftemperaturen. Eine Bauteilaktivierung der Stahlbetondecken ergänzt den dezentralen und bausteinbasierten Ansatz eines möglichen Energiekonzeptes. Für die Raumlüftung wird ebenfalls eine dezentrale Lösung vorgeschlagen, in welcher die unterschiedlichen Bereiche entsprechend ihrer Nutzung entweder gesteuert durch Kompaktlüftungsanlagen (Saal und Bibliothek) oder durch nutzerabhängige Fensterlüftung (Verwaltung) abgedeckt.

Sämtliche Bereiche werden mit Tageslicht versorgt. Die künstliche Beleuchtung basiert auf energiesparenden Systemen mit Präsenzsensoren und trägt dem Energiesparansatz entsprechend Rechnung.